Ein spezielles Konzept hat es Beerfelder Schülern ermöglicht, das Pogromnachtgedenken unter Corona-Bedingungen aufrecht zu erhalten.

In diesem Jahr ist alles anders. Normalerweise machen sich die Schüler mehrerer Klassen der Oberzent-Schule in der Woche um den Jahrestag der Reichspogromnacht auf, um in Beerfelden die Stolpersteine im Gedenken an die deportierten und ermordeten Juden der Stadt zu reinigen. Damit diese Form des Gedenkens auch im Zeichen von Corona bewahrt werden konnte, haben die Pädagogen sie 2020 völlig anders konzipiert.
Friedensgebet und Gedenkgang konnten nicht wie gewohnt stattfinden. Externe durften in diesem Jahr nicht teilnehmen. Schulleiter Bernd Siefert verwies im Vorfeld aber auf die Bedeutung dieser Veranstaltung: „Es ist dennoch wichtig, in einem kleinen Rahmen ein Zeichen zu setzen.“ Man kam überein, dass die jungen Leute der Religions- und Ethikkurse der Jahrgänge neun und zehn im Namen der Schülerschaft individuelle Beiträge leisten könnten.
Wegen der aktuellen Kontaktbeschränkungen wurde darauf geachtet, dass sich nicht zwei Kursteams zur gleichen Zeit am selben Ort befanden. Dennis Hemberger und Bernd Siefert besuchten mit ihren Religionskursen die evangelische Kirche und die ehemalige Synagoge. Pfarrer Roger Frohmuth ging mit seinem Religionskurs in die katholische Kirche, Tamara Weihrauch auf den Vorplatz der evangelischen Kirche und der ehemaligen Synagoge und gedachte dort der Reichspogromnacht.
Mevlüt Erdogan, Vorstandsmitglied der islamischen Ditib-Gemeinde, richtete eine Videobotschaft an Erdogan Sunas Ethikkurs. Symbolisch wurde von jeder Gruppe eine Schweigeminute eingelegt – angesichts einer Kerze, die beim ersten Besuch entzündet worden war. Damit waren die Schüler zwar räumlich getrennt, hatten aber beim Rundgang etwas, was sie gedanklich verband.
Mehr als 1400 Synagogen wurden am 9. November 1938 in ganz Deutschland zerstört. Die jüdische Gemeinde in Beerfelden blickte damals auf eine 300-jährige Geschichte in Oberzent zurück, übermittelten die Pädagogen ihren Schülern. Bis zu 200 jüdische Mitbürger hatten die Beerfelder im Jahr 1861. An der ehemaligen Synagoge befindet sich heute das Gasthaus „S’Lagger“.
Das jüdische Gotteshaus war in der betreffenden Nacht vor 82 Jahren abgerissen worden. Im Gegensatz zu anderen in Deutschland zerstörten Synagogen wurde es nicht gesprengt oder angezündet, da man in der Oberzent-Stadt noch das Trauma des großen Stadtbrandes von 1810 vor Augen hatte.
Um das Jahr 1900 gab es in Beerfelden noch über hundert jüdische Mitbürger. Schon vor dem Novemberpogrom von 1938 war die jüdische Einwohnerschaft aber stark zurückgegangen. Die letzten zwölf jüdischen Bewohner wurden im Herbst 1942 „in den Osten umgesiedelt“, wie die Nazi-Propaganda den Weg in die Vernichtungslager euphemistisch umschrieben.
Ab Oktober 1942 gab es in Beerfelden keine Juden mehr. „Für diese Menschen haben wir 2012 die Stolpersteine verlegen lassen“, so Siefert. Zudem wurde am Platz der zerstörten Synagoge schon 2010 eine Gedenktafel angebracht.